Preview< Zurück 12.03.2009
Von Ahmed Abdalla
Am 15.4. 2009 läuft im Rahmen von agit. doc der Low-Budget Dokumentar Film Harragar im Forum Stadtpark. Nach dem Film folgt eine Podiumsdiskussion mit den Filmemacherinnen, Vertretern der Organisation Zebra sowie mit der Autorin Sihem Bensedrine
Der Low-Budget-Film HARRAGA zeigt neue Perspektiven auf Migration
Was bedeutet der Begriff „Low budget“ eigentlich? Es bedeutet, dass der Film entweder ein Spaßprojekt oder ein Herzensanliegen ist. Beim Film Harraga ist es eindeutig ein Herzensanliegen von Annika Lems & Christine Moderbacher, die mit den wenigen Mittel, die ihnen zur Verfügung gestanden sind, versucht haben ein brandaktuelles Problem von Europa zu erzählen und zu dokumentieren. Low Budget heißt auch, das Maximum aus einer Geschichte herauszuholen, ohne kostenintensives Equipment, ohne Gagen fressende Mitarbeiter, ohne Geld verschlingende Nachbearbeitung. Harraga ist in meinen Augen ein brutales Urlaubsvideo. Einer der Filme, der durch eine lebensverändernde Begegnung entstanden ist. Ein Urlaub, den man einfach nicht vergessen kann und will, weil man auf einmal das große Ganze im Kleinen erleben durfte und gemerkt hat in was für einer Bobo Illusion, bestehen aus nachhaltigen Getränken, Salatbuffets und Fairtrade Produkten, man eigentlich gelebt hat. Low-Budget heißt auch Original. Es ist die erste unverklärte Begegnung mit einem Objekt, fernab von Massenwirkung, kommerziell orientiertem dramaturgischem Aufbau, der sogar im Dokumentarfilm Einzug findet, weil wieso kommt die Lösung oder die Pointe immer erst nach der Werbepause? Harrager ist ein Zeitdokument, vielleicht nicht perfekt abgemischt oder überarbeitet, aber auf alle Fälle wert, dass man es anschaut, darüber nachdenkt und diskutiert.
„Ich liebe es zu reisen“, sagt der dreißigjährige Landwirt Khaled und erklärt damit seine Versuche, über das Meer aus Tunesien zu entkommen. Gemeinsam mit seinem Freund Ghabsi, mit dem er in einem kleinen Fischerdorf in Nordtunesien aufgewachsen ist, hat er fünfmal die gefährliche Überfahrt nach Italien in einem Schlauchboot versucht. Fast jedes Mal wurden sie sogleich wieder abgeschoben.
Harragas sind sie, ein Wort das im gesamten maghrebinischen Raum diejenigen bezeichnet, die sich selbst oft als verlorene Generation sehen. Lieber nehmen sie den möglichen Tod im Meer in Kauf, als tatenlos in der erzwungenen Perspektivlosigkeit zu erstarren.Während Bilder über Menschenmassen, die jeden Sommer in Booten die Küsten Südeuropas erreichen, unser Bild über Flucht und Migration prägen, kommen die Betroffenen selbst so gut wie nie zu Wort. Im Versuch, dieses von Außen auferlegte Schweigen zu durchbrechen, haben die beiden Sozialanthropologiestudentinnen (dieses Wort unbedingt für das nächste Hangman spielen merken) Annika Lems und Christine Moderbacher sich mit minimalsten Mitteln auf eine filmische Spurensuche nach dem Phänomen der harragas gemacht. Herausgekommen ist ein etwa einstündiger Dokumentarfilm, der sich der Thematik auf vielfache Weise nähert. Durch die Geschichten Khaleds und Ghabsis entstehen Perspektiven auf Flucht und Migration, die weit entfernt von kollektiven Massenerfahrungen sind. Ihre Erzählungen werden durch die Einschätzungen von ExpertInnen ergänzt, kontrastiert und in den Kontext des repressiven Zugangs Europas zu Immigration und Asyl gesetzt. Der Film bewegt sich scheinbar nahtlos zwischen den nationalstaatlichen Grenzen Tunesiens und Italiens hin-und her und zeigt die Brüchigkeit der so genannten „Festung Europas“ und die Unmöglichkeit, Menschen in ihrem Drang nach Fortbewegung zum Erstarren zu bringen.
Für Interessierte stehen nachher noch die beiden Filmemacherinnen, Wolfgang Gulis von Zebra und die tunesische Oppositionspolitikerin und Autorin Sihem Bensedrine, bei einer Podiumsdiskussion Rede und Antwort. Hab ich schon erwähnt, dass das Ganze am 15.4 um 20 Uhr im Forum Stadpark bei freiem Eintritt stattfindet?
Meine Wertung: |
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